Alternsgerechtes Arbeiten

Alternsgerechte Arbeitswelt
Vorerst die gute Nachricht: Wir leben länger als noch vor wenigen Jahrzehnten! Die steigende Lebenserwartung ist von vielen Faktoren abhängig. Die Errungenschaften der modernen Medizin und Wissenschaft, positive sozioökonomische Entwicklung der Industriestaaten, Verbesserung der Lebensqualität und Gesundheitssicherung, steigender Wert von Ausbildung und Bildung, steigender Lebensstandard und Verbesserungen in der Arbeitswelt sind sicherlich Gründe für diese positive Entwicklung.
Die Tatsache, dass diese steigende Lebenserwartung mit einer Abnahme der Geburtenrate kombiniert ist, führt allerdings zu einer signifikanten Veränderung der altersspezifischen Zusammensetzung unserer Gesellschaft. Im Zuge dieses demographischen Wandels werden in den nächsten Jahren die 45-Jährigen die größte Gruppe unter den Beschäftigten bilden.
Doch allein das Pensionsantrittsalter zu erhöhen, ohne begleitende Maßnahmen am Arbeitsmarkt, auf betrieblicher und individueller Ebene zu setzen, wird wohl kaum zu den gewünschten Effekten führen. Gleichzeitig gibt es in vielen Bereichen und Branchen ArbeitnehmerInnen, die aufgrund der belastenden Arbeitsbedingungen lange vor dem gesetzlichen Pensionsantrittsalter arbeitsunfähig werden.
Wenn nun Menschen länger in Beschäftigung gehalten werden sollen, dann muss dies entsprechend vorbereitet und unterstützt werden. Diesbezügliche Maßnahmen sind daher auf drei Ebenen notwendig:

  • Individuelle Ebene: zB durch maßgeschneiderte Weiterbildungsmaßnahmen für alle Bediensteten.
  • Betriebliche Ebene: zB durch Veränderung von Arbeitszeitregelungen (zB Schichtsystem) und von Arbeitsaufgaben, durch ergonomische Gestaltung von Arbeitsplätzen für ältere ArbeitnehmerInnen.
  • Gesellschaftliche/Überbetriebliche Ebene: zB bildungspolitische Maßnahmen, Veränderungen im Dienst- und Besoldungsrecht, Arbeitsmartpolitik, Weiterentwicklung der ArbeitnehmerInnen- und Bedienstetenschutzbestimmungen.

I – Wer sind DIE Alten?
Eines sei vorausgeschickt: die Alten gibt es ebenso wenig wie es das Altern gibt. Es gibt Frauen und Männer mit den unterschiedlichsten (Karriere-) Biografien, Ausbildungsniveaus, Berufspositionen, Hoffnungen in die Zukunft, Gesundheits- und Krankenbildern, mit Familie und ohne, wohnhaft am Land oder in der Stadt, sind grau-, rot-, braun-, blond- und schwarzhaarig,… Einzig und allein die Tatsache, dass sie älter als z.B. 40 sind, lässt sie zu einer Gruppe werden.
Wir altern auch nicht alle gleich. Neben der biologischen Programmierung wird der Prozess des Alterns auch vom persönlichen und arbeitsbezogenen Umfeld beeinflusst. Jahrelange körperliche Schwerstarbeit beispielsweise wirkt sich auf den Alterungsprozess des Körpers anders aus wie eine jahrelange sitzende Tätigkeit; monotone Tätigkeiten anders wie abwechslungsreiche, usw.

II – Ab wann gehört man nun zu den Alten? Was ist alt? 
Das liegt im Auge des Betrachters. Ein Frau Mitte zwanzig kann von ihrem Kind als alt abgestempelt werden. Ein 70 jähriger sieht vielleicht in den 90 jährigen die Alten.
In Analysen zum Zusammenhang von Alter und Arbeit wird häufig das 45. Lebensjahr Marke genommen. Manchmal wird auch von einem Leistungsabbau ab 35. gesprochen.

1 Altern ist kein Abbau-, sondern ein Umbauprozess
Es gibt bereits eine Reihe von Untersuchungen, die zeigen, was sich im Alter tatsächlich verändert.
Jahrzehntelang wurde Altern mit einem Leistungsabfall gleichgesetzt. Diese sogenannte Defizitperspektive schürt mitunter auch die oben genannten Vorurteile. Man hat nun auch in der Wissenschaft gelernt zu unterscheiden: Es gibt auch Bereiche, wo die Kompetenzen der Älteren steigen oder gleich bleiben.
Altern ist also kein Abbauprozess der Leistungskapazitäten, sondern ihr Umbau:

  • körperliche Ressourcen sinken
  • psychische Ressourcen bleiben gleich
  • geistig soziale Ressourcen steigen

Qualitativ gesehen, steigen unsere Leistungspotentiale zwischen dem 20. und dem 60. Lebensjahr. Man unterscheidet „drei Identitäten“ in einem Arbeitsleben: die körperliche, die psychische und die geistig-soziale. So nimmt die körperliche Leistungsfähigkeit zwischen dem 20 und dem 60 Lebensjahr ab, während die psychische sich nicht verändert und die geistig-soziale Leistungsfähigkeit zunimmt.

2 Körperliche Leistungsfähigkeit
Untersuchungen zeigen, dass die Behauptung, die körperliche Leistungsfähigkeit und Belastbarkeit nehme mittleren und höheren Erwerbsalter ab, nicht verallgemeinert werden dürfen. Die beruflichen Belastungen sind zu unterschiedlich, ebenso werden grundlegende berufliche Wandlungsprozesse der letzten Jahrzehnte (Rückgang der körperlichen Belastung – Zunahme der psychischen Anforderungen) nicht miteinkalkuliert.

Spezielle physische Anforderungen in der Arbeit, wie z.B. Heben und Tragen von schweren Lasten, Überkopfarbeiten, Arbeit in Hitze, Nässe, Staub, usw. sind als eine Ursache für vorzeitig eintretenden Leistungsabfall anzusehen.
Kruse zeigt, dass es keine generellen Unterschiede der Leistungsfähigkeit von Älteren und Jüngeren in denselben Tätigkeiten gibt. Leistungsdifferenzen innerhalb einer Altersgruppe sind weitaus deutlicher festzustellen als Differenzen zwischen verschiedenen Altersgruppen. Verändert man die Arbeitsorganisation so, dass einseitige körperliche Belastungen reduziert werden und durch andere Tätigkeiten (wie z.B. das Anleiten von KollegInnen) ergänzt werden, kann es sogar zu Steigerungen im körperlichen Bereich kommen.

III – Warum müssen Betriebe alternsgerecht werden?

1.Demografische Entwicklung – mehr Ältere in der Gesellschaft
Obwohl Prognosen über die Bevölkerungsentwicklung immer schwierig sind, besteht unter BevölkerungsexpertInnen doch grundsätzlich Einigkeit, dass die Zahl der Älteren in unserer Gesellschaft im Vergleich zu den Jüngeren insgesamt gesehen stark zunehmen wird.
1981 war die Altersgruppe der 15- bis 24-Jährigen in Österreich noch gleich stark wie die Altersgruppe der 50- bis 64-Jährigen. Für die Zukunft sprechen die Prognosen von einer Scherenentwicklung für die Verteilung dieser beiden Altersgruppen. Die Gruppe der 50- bis 64-Jährigen wird deutlich größer, während die Gruppe der 15- bis 24-Jährigen stagniert.

2. Steigern der Wettbewerbsposition
Ältere ArbeitnehmerInnen besitzen viele besondere Ressourcen und Qualitäten. Weiß ein Unternehmen diese einzusetzen, kann es seine Produktivität steigern, wie Studien und Untersuchungen belegen.
Vielfalt in der Belegschaft – ob nun hinsichtlich des Alters, des Geschlechts, der Herkunft, etc. – stellt ein Potenzial für Unternehmen dar. Wird mit der Unterschiedlichkeit der MitarbeiterInnen bewusst umgegangen und diese gleichberechtigt im Unternehmen integriert, hat das zur Folge,

  • dass sich sowohl im als auch außerhalb des Unternehmens seine Reputation steigert. Als Arbeitgeber attraktiv zu sein, wird in Zukunft immer wichtiger.
  • Die Gesamtbevölkerung wandelt sich in ihrer Zusammensetzung und nicht nur die Belegschaft. D.h. aber auch, dass sich die Absatzmärkte verändern und in sich immer unterschiedlicher werden (man hat z.B. schon vor einigen Jahren erkannt, welches Potenzial hinter der Kaufkraft der PensionistInnen steckt). Um diese unterschiedlichen Märkte effizient und effektiv bearbeiten zu können, setzten viele Betriebe bereits heterogene Belegschaften ein.
  • Betriebe, die die Unterschiedlichkeiten ihrer ArbeitnehmerInnen nutzen, wissen auch um die Vorteile des „Lernens von der Vielfalt“. Welche Vorteile es hat, wenn Jüngere von der Erfahrung Älterer lernen können und umgekehrt, zeigt z.B. das Projekt LIFE von der voest alpine.
  • Unternehmen (v.a. aus den USA) zeigen auch, dass sie durch einen managingage – Ansatz Kostenvorteile erzielen konnten: Durch die Berücksichtigung der Unterschiedlichkeiten konnten sowohl die Arbeitszufriedenheit als auch die Motivation der einzelnen ArbeitnehmerInnen gesteigert werden, was eine größere Produktivität zur Folge hat.
  • In vielen Bereichen zeigt sich auch, dass eine heterogene Belegschaft größere Perspektivenvielfalt und ein kreativeres Denken z.B. bei Problemlösungsprozessen ermöglicht.
  • Die unterschiedlichen Kompetenzen unterschiedlich alter MitarbeiterInnen ermöglichen in Teams oder Arbeitsgruppen ganzheitliche Lösungsprozesse, während gleichzeitig Lerneffekte realisiert werden können.

3. Maßnahmen zur Förderung der Arbeitsfähigkeit / Alternsgerechtheit
Alternsgerecht heißt nicht gezielt für die älteren ArbeitnehmerInnen Arbeitsplätze schaffen. Vielmehr bedeutet es, die Arbeit so zu organisieren, dass sie dem Altern als Prozess gerecht wird. Das bedeutet, junge wie ältere ArbeitnehmerInnen dürfen im Laufe ihrer Erwerbstätigkeit, d.h. in ihrer Erwerbsbiografie, nicht so ausgepowert werden, dass sie zu irgendeinem Zeitpunkt einfach nicht mehr können, also arbeitsunfähig werden.
Auf der Ebene der Betriebe sind es drei Dimensionen, die  berücksichtigt werden müssen um Alternsgerechtheit zu gewährleisten: Unternehmenskultur, Gesundheitsförderung und ArbeitnehmerInnenschutz sowie Qualifizierung. Ein Maßnahmenpaket in diesen Bereichen ist dazu geeignet eine alternsgerechte Arbeitsorganisation herzustellen und die Arbeitsfähigkeit zu erhalten, im günstigsten Fall sogar zu verbessern.

IV – Die Unternehmenskultur
Das Ziel eine alternsgerechte Arbeitsorganisation in einem Betrieb zu installieren ist nur über die Entwicklung einer alternsgerechten Arbeits- und Personalpolitik möglich. Ein Projekt, ein Workshop, der isoliert von den alltäglichen Geschehnissen des Betriebes stattfindet, ändert nichts.
Alternsgerechtheit kann in einem Betrieb nur verwirklicht werden, wenn es als integriertes Konzept begriffen wird. Ein Konzept, das nicht von heute auf morgen verwirklichbar ist, sondern einen Prozess der permanenten Verbesserung in Richtung Alternsgerechtheit in Gang setzt. Dieser Prozess wird dann am Leben bleiben, wenn er integriert in die gesamte Unternehmenskultur stattfindet. D.h. das Vorhaben „alternsgerechter Betrieb“ muss am betrieblichen Alltag anknüpfen, um diesen verändern zu können. Workshops und Projekte sind im Rahmen eines umfassenden Veränderungsprozesses in der Unternehmenskultur zu verstehen.  Es geht um Orientierungen, Einstellungen und Denkweisen und um Kommunikation auf allen Ebenen des Unternehmens. Hat hier eine Sensibilisierung stattgefunden, ist Alternsgerechtheit im Betrieb so logisch geworden wie das Verbot der Kinderarbeit.

Bei der praktischen Umsetzung wird man zuerst jemanden brauchen, der damit anfängt. Zunächst wird es sich dabei um einzelne Promotoren handeln. Akteure, die sich um den Prozess der permanenten Verbesserung in Richtung Alternsgerechtheit kümmern. Diese Kümmerer brauchen eine dicke Haut, wie wir von vielen, die bereits erfolgreich Betriebe (Münchner Verkehrsbetriebe, VW Hannover, voest alpine, usw.) alternsgerecht gewandelt haben wissen. Sie müssen sich darauf einstellen, dass ihre Vorhaben nur in einer langfristigen Perspektive zu bearbeiten sind und dass sie auf Widerstände und Desinteresse stoßen werden.
Der erste Schritt der „Kümmerer“ wird darin bestehen, wichtige betriebliche Akteure von Sinn und Zweck der Initiative zu überzeugen. Kooperationspartner für Prozess der permanenten Verbesserung in Richtung Alternsgerechtheit müssen also gewonnen werden. Argumente für diese Überzeugungsarbeit finden sich in der Broschüre genug. Der Spruch „Gesundheit muss man nicht argumentieren“ könnte aber auch in „Alternsgerechtheit muss man nicht argumentieren“, weil wir alle altern und es somit alle betrifft, umgewandelt werden. Die anvisierten Kooperationspartner müssen für die Problemstellung sensibilisiert werden. Ihre Sichtweisen sind vielleicht noch von der Praxis, sich von „den Alten“ möglichst früh zu trennen, bestimmt. Weitere Hilfen für die Überzeugungsarbeit findet man u.a. in den „Linktipps“.
Als Auftakt scheint dann eine Veranstaltung, die über die Bedeutung demografischer Veränderungen für die Arbeitswelt und für diesen Betrieb informiert, sinnvoll. Welche Handlungsschritte die „Kümmerer“ für die Zukunft anpeilen, sollte ebenfalls bei einer Auftaktveranstaltung bereits skizziert werden. Es kommt auf die jeweilige betriebliche Situation an, aber man kann bereits zu diesem Zeitpunkt Planungsgruppen für folgende Workshops und Projekte einrichten.
Mit den Planungsgruppen kann das Feld dann beackert werden. Es sollte bei der Zusammensetzung darauf geachtet werden, dass VertreterInnen verschiedener hierarchischer Ebenen, Sparten und Altersgruppen in den Gruppen zu Wort kommen und sich einbringen können. Die Planungsgruppen werden dann Workshops, Zirkel oder Projekte planen, die sich mit den Themenkomplexen

  • Kommunikation
  • Qualifikation
  • Gesundheit

beschäftigen.
Ist es den „Kümmerern“ gelungen, wichtige Kooperationspartner zu sensibilisieren, bei einer Auftaktveranstaltung einen alternsgerechten Wind zu machen und Planungsgruppen zu installieren, die rege an dem Prozess der permanenten Verbesserung in Richtung Alternsgerechtheit arbeiten, haben sie den größten Schritt hin zu einer alternsgerechten Unternehmenskultur geschafft.
Ein weiterer wichtiger Bereich der alternsgerechten Unternehmenskultur betrifft die Führungsqualität. Untersuchungen aus Finnland zeigen, dass vier Dimensionen altersbezogener Führungsqualität von Bedeutung sind. Ilnmarinen nennt dies das Modell eines Age-Management:

  • Einstellung zum Altern – Abbau stereotyper Einstellungen
  • Formen der Zusammenarbeit
  • Organisation der Arbeit nach individuellen Ressourcen – bessere Nutzung der zunehmend mentalen Kräfte
  • Kommunikation – Fähigkeit der offenen Kommunikation

1 Gesundheitsförderung und ArbeitnehmerInnenschutz
Zum ersten geht es hier dezidiert um die Umsetzung der bereits bestehenden Vorschriften im ArbeitnehemerInnenschutzgesetz. Schon in § 3 ASchG ist klar festgehalten, dass die ArbeitgeberInnen für den Schutz und die Erhaltung der Gesundheit ihrer ArbeitnehmerInnen zu sorgen haben. Verschiedenste Paragrafen halten im weiteren fest, wie Unfälle zu vermeiden sind, wie Prävention durchzuführen und dass Gesundheitsförderung anzugehen ist.
Die Maßnahmen aus dem Gesundheitsbereich müssen in betriebsnaher Praxis umgesetzt werden. Sie berühren Bereiche der Ergonomie, der psychischen Belastungen, der Arbeitszeit- bzw. Pausenregelungen und der Unfallprävention.
Mikropausen für älter werdende ArbeitnehmerInnen werden von vielen WissenschafterInnen und PraktikerInnen empfohlen, da der Erholungsprozess von der Belastung mit dem Alter deutlich langsamer wird.
Unfallstatistiken zeigen signifikante Unterschiede in verschiedenen Altersgruppen: So haben Jüngere deutlich häufiger schwere Unfälle, Ältere wiederum haben eine längere Rehabilitationszeit.
In der Dimension der betrieblichen Gesundheitsförderung und des ArbeitnehmerInnenschutzes ist es wesentlich einen breiten Gesundheitsbegriff, der über das Fernbleiben von Krankheit hinausgeht, zu benutzen. Gesundheit meint im Sinne der WHO körperliches, psychisches und soziales Wohlbefinden.